Innenstadt der Zukunft – Geisterstadt oder innovative Kommune?

Ein Beitrag von Prof. Dr. Diane Robers, Professorin für Service Innovation und Entrepreneurship, Direktorin SITE Institut, EBS Universität für Wirtschaft und Recht, Wiesbaden

Diane Robers grossIn einer Zeit vor Corona, hätte ich meinen Beitrag wie folgt begonnen: Im Jahr 2019 betrug der Umsatz mit Waren im Onlinehandel 72,6 Milliarden Euro, der weiter Wachstumstreiber bleibt. Noch Ende Februar diesen Jahres prognostizierte die GfK-Studie „Einzelhandelsumsatz 2020“ für den stationären Einzelhandel in Deutschland in diesem Jahr ein Gesamtumsatzvolumen von 428,6 Milliarden Euro. Allerdings geraten mittelständische Innenstadthändler zunehmend in Schieflage, so mussten 39.000 Handelsstandorte bereits schließen (HDE).

Dies lässt einen Vorgeschmack darauf zu, was sich in den letzten Wochen unter dem Druck und der Sorge der sich weltweit ausbreitenden Corona Pandemie und einem in dieser Phase als notwendig erachteten Shutdown der meisten Wirtschaftsaktivitäten zum Schutz von Leben und Gesundheit ereignet hat. Die Innenstädte lassen seitdem einen Eindruck von Geisterstädten entstehen. Hoffentlich eine vorübergehende Erscheinung, erste Öffnungen sind in Aussicht gestellt. Natürlich brauchen Städte – auch im Zeitalter der Digitalisierung - lebendige Zentren. Sie bündeln zentral verschiedene Funktionen, sind Identifikationsort, kultureller Mittelpunkt, Schaufenster der Geschichte, Wirtschafts- und Finanzzentrum, erfüllen öffentliche Aufgaben, sind Begegnungsort und Marktplatz. Im Bericht der Deutschen Hypo zum Immobilienklima zeigt sich bereits, dass die Coronakrise den Einzelhandel und die Hotelbranche aufgrund der angeordneten Schließungen besonders stark treffen wird: Hotel- und Büroklima sind um rund 52 beziehungsweise 41 Prozent zurückgegangen, das Handelsklima ist um ebenfalls 52 Prozent nun mit 31,6 Punkten auf einen historischen Tiefstand gefallen. Besonders stark gebeutelt durch die Maßnahmen gegen das Coronovirus ist der Non-Food-Einzelhandel.

Auch Online-Händler verzeichnen Einbußen durch ein reduziertes Konsumverhalten als Auswirkung der Corona-Pandemie. So lagen die E-Commerce-Umsätze im März laut bevh fast 20 Prozent unter Vorjahresniveau. Mit Ausnahmen: Amazon, ein Online-Gigant, der sich nicht nur als digital jederzeit erreichbarer „Everything Store“ etabliert hat, sondern auch zu den globalen Internetökosystemen (häufig mit GAFA abgekürzt) mit Web Services und Online-Mediendiensten zählt, verzeichnet massive Umsatzzuwächse und ein Allzeithoch an der Börse. Der Börsenwert des Unternehmens beziffert sich nun auf 1,14 Billionen US-Dollar (Stand 14.04.20). In einer Zeit des digitalen Schubs, aber auch der digitalen Abhängigkeiten werden entsprechende Kundenbedürfnisse voll erfüllt und monetarisiert.

Wie sollen wir diese Entwicklungen bewerten und vor allem, ist es nicht höchste Zeit, sich Zukunftsgedanken zur Positionierung innerstädtischen Angebots für die „Zeit danach“ zu machen? Zwar gibt es schon gute Beispiele und Leuchtturmprojekte etwa die „Digitalen Dörfer“, die bspw. Telemedizin, digitales Rathaus, Mobilität oder Nahversorgung mit Angeboten aus der Region vereinen und Lebensqualität gerade im ländlichen Raum sicherstellen sollen. Das wird aber für eine wirtschaftliche (Wieder)Belebung „Post-Corona“ nicht ausreichen. Neben einer fairen Lastenverteilung (auf Vermieter- und Mieterseite), sind Kreativität und unternehmerische Ansätze gefordert, um die Attraktivität von (Innen-)Städten neu zu beflügeln. Der Ruf nach Relokalisierung wird lauter. Dabei können neue Technologien wie 3D-Druck oder moderne stadtverträgliche Produktions- und Fertigungsverfahren bei der Wiedernutzung brachliegender Flächen und Gebäuden zur (Re)-Integration von „smart manufacturing“ in urbane Räume unterstützen. Aber auch der Transfer bereits erprobter Ansätze wie etwa die „Action Coeur de Ville“ der französischen Regierung ist überlegenswert, denn die Kommune übernimmt hierbei die Aufgabe von wirtschaftlicher Ansiedlung ins Viertel passender, prosperierender Läden, Neugründungen und Handwerk. In diesem Sinne bedeutet Krise nicht nur Risiko und Stillstand, sondern auch Chance für Aufbruch – dabei sollte es über innovative und attraktive Konzepte gelingen, dass der Handel nach wie vor einer der wichtigsten Anlässe bleibt, städtische Zentren aufzusuchen.

 
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