In der Zange – Europas Digitalwirtschaft zwischen China und den USA
18.227.140.152Stephan Tromp, stellv. Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland e.V.
Ein Beitrag von Stephan Tromp, stellv. Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland e.V.
Wo die Digitalmärkte entstehen: Die Entwicklungen in den USA und China
Die Digitalmärkte in den Vereinigten Staaten und China haben sich aus unterschiedlichen Gesellschafts- und Wirtschaftssystemen heraus entwickelt. Der US-Markt ohne enge Regulierung und der staatlich gesteuerte chinesische Markt bieten in ihren Heimatmärkten jeweils eine kritische Größe, um Geschäftsmodelle zu entwickeln, zu skalieren und weltweit auszurollen. Begünstigt wurde das Wachstum in beiden Ländern durch homogene Märkte, die durch nationale Regulierungen sowie eine Haupt- bzw. Amtssprache in einem relativ einheitlichen Kulturkreis geprägt sind. Die wirtschaftliche Skalierung der Geschäftsmodelle war dadurch leichter möglich als in heterogenen Wirtschaftsräumen wie Europa mit seinen unterschiedlichen Sprachen und Kulturen sowie EU- aber auch unterschiedlichen nationalen Regulierungen. Die homogenen Heimatmärkte in den USA und China haben zunächst die Verbreitung und Akzeptanz der digitalen Angebote beim Verbraucher befördert und die Reifung der Geschäftsmodelle begünstigt.
Hinzu kommt im US-Markt die Bereitstellung von Risikokapital über den Kapitalmarkt, was auch dem Wesen der US-Marktwirtschaft, des „ins Risiko gehen“ und „etwas wagen“ entspricht. Des Weiteren befördern ein weniger restriktiver Datenschutz, bessere Bedingungen für Forschung und Entwicklung sowie ein funktionierender Transfer von der Grundlagenforschung in Anwendungen an den US-Universitäten sowie niedrige Steuern und Energiekosten in den USA die Entwicklung. Last but not least bieten die USA einen großen Binnenmarkt, der im Gegensatz zum EU-Binnenmarkt nicht durch eine zersplitterte Regulierung gekennzeichnet ist.
Chinas Planwirtschaft hat die Digitalwirtschaft als zentrales Entwicklungsgebiet identifiziert und fördert diese massiv. Dabei stellt China nach westlichen Maßstäben ein Paradoxon dar: Auf der einen Seite Planwirtschaft, staatlich reguliert und teilweise mit massiven staatlichen Eingriffen, wie Sperrungen von nicht chinesischen Internetangeboten. Auf der anderen Seite besteht innerhalb des von der Regierung gesetzten Rahmens eine starke Kundenfokussierung der chinesischen Digitalwirtschaft, die Digitalisierung getreu nach Schumpeter „eine Innovation ist nur dann eine Innovation, wenn Sie vom Markt akzeptiert wird“ begreift und vorantreibt. Die Regierung unterstützt dies durch umfassende Förderung von KI und staatlichen Digital-Projekten, wie dem initiierten China Social Credit System.
Wo die Digitalwirtschaft steht: Kein Level Playing Field
Sowohl in den USA als auch in China nehmen die Digitalwirtschaft und ihre Plattformunternehmen eine zentrale Rolle ein. Beide Regierungen begreifen diese mittlerweile als Eckpfeiler ihrer jeweiligen Volkswirtschaft, die Innovationen, Marktumsetzung und damit auch Wertschöpfung im 21. Jh. in den jeweiligen Ländern befördern und generieren sollen.
Beide Länder schützen ihre Märkte und verteidigen ihre wirtschaftspolitischen Interessen auf dem rasant wachsenden Digitalmarkt. Es herrscht kein „level playing field“! Dies lässt sich exemplarisch daran aufzeigen, dass
• China insbesondere US-Internetangebote, wenn es die chinesische Staatsraison gebietet, sperrt.
• Die US-Regierung wiederum hat Huawei in den USA de facto verboten
• Auch die Verbraucher beherzigen den Grundsatz „My country first“. Beispiele hierfür sind:
- Amazon und eBay nicht in China präsent.
- Alibaba und Tencent weitestgehend in den USA unbedeutend
Europa ist sowohl für die USA als auch für China ein interessanter Markt. Die US-Techunternehmen wie Google und Amazon haben diesen bereits für sich erschlossen und aufkeimende Konkurrenz aus Europa aufgekauft. Die chinesischen Techunternehmen wie Alibaba und Tencent sind mittlerweile auch präsent. Der Aufbau eines Alibaba-Logistikzentrums im belgischen Lüttich zeigt hier den weiteren Weg auf. Sowohl die chinesischen als auch die US-Techunternehmen wollen die digitale Wertschöpfungskette mit ihren zugehörigen Services unter ihre Kontrolle bringen, um die komplette Wertschöpfung generieren zu können. Die Höhe der Marktkapitalisierung der Techunternehmen stellt dabei auch die wirtschaftlichen Ressourcen zur Verfügung, um den defragmentierten europäischen Markt mit seinen vielfältigen Regulierungen, Sprachen und Kulturen „customized“ erschließen zu können.
Wo wir stehen: Was macht Europa?
Die EU und ihre Mitgliedsstaaten haben es bisher versäumt, eine Strategie zum Aufbau einer eigenen Digitalwirtschaft zu entwickeln und umzusetzen. Hinzu kommt, dass der oft gepriesene EU-Binnenmarkt für die Digitalwirtschaft nicht existiert. Digitale Angebote operieren grenzüberschreitend. Bis dato haben die Nationalstaaten in Europa aber versucht, mit eigenen Maßnahmen die Entwicklung zu lenken.
Die kürzlich beschlossenen EU-Regelungen zu Plattformen, Datenschutz und Urheberrecht stellen zwar einen Schritt in Richtung eines gemeinsamen europäischen regulatorischen Rahmens dar, aber es stellt sich die Frage, ob hiervon nicht sogar eher die chinesischen und US-Techunternehmen profitieren. Sie haben die Ressourcen, um die Regulatorik umzusetzen, während gerade innovative Start-Ups aber auch kleinere Unternehmen aus Europa drohen, daran zu scheiten.
Insbesondere die EU-Regulatorik in Bezug auf Datenschutz wird von der Politik oft als EU-Standortvorteil verkauft. Der damit verbundene bürokratische und IT-Umsetzungsaufwand hemmt aber die Innovationsfähigkeit heimischer Digitalwirtschaft. Innovationen finden gar nicht den Weg in den Markt, weil sie bereits in der Pilotierung wegen Nichtkonformität verworfen werden. Oder europäische Unternehmen entwickeln außerhalb von Europa.
Hinzu kommt das Phänomen des „Digitalen Paradoxons“: Die große Mehrheit der Konsumenten räumt Facebook & Co. Zugang zu ihren Daten ein, während die gleichen Konsumenten kleinen Anbietern diese Daten verweigern. Es stellt sich die Frage, wer wen wogegen schützt, wenn eine EU-DSGVO das Datensammeln der großen Techunternehmen in keiner Weise beeinträchtigt, aber im Allgemeinen eine gesellschaftliche Sensibilität herstellt, die letztendlich ein feindliches Klima für datenbasierte Anwendungen und digitale Innovationen schafft. Bestes Beispiel hierfür war die auf Gesichtserkennung basierende Instore-Werbung durch Real in 2018.
Wo wir hinwollen: Digitale Wertschöpfung versus Schutz des Individuums
Dies ist eine gefährliche Entwicklung, weil Wertschöpfung im 21. Jahrhundert über die digitalen Plattformen mit ihren Ökosystemen erfolgt. Wer dort nicht „mitspielt“, partizipiert nicht an der Wertschöpfung, sondern zahlt als Kunde nur in die Wertschöpfung anderer ein.
Niemand in Europa und den USA möchte ein chinesisches Social Credit System oder die freie Verfügbarkeit von Gesundheitsdaten für die Nutzung durch Versicherungen. Aber was ist gegen eine Gesundheitskarte einzuwenden, auf der die Krankengeschichte hinterlegt ist und die jeder zu dem Arzt seiner Wahl mitnehmen kann? Im Zeitalter der digitalen Wirtschaft müssen wir uns die Frage beantworten, wie weit der Schutz des Einzelnen und vor sich selbst gehen soll? Wie sieht die richtige Balance aus? Und ab wann wiegt das Gemeinwohlinteresse schwerer. Ohne Wertschöpfung durch eine europäische Digitalwirtschaft wird Europa weder eine eigene Digitalindustrie schaffen, noch den „War for Talents“ gewinnen. Im Ergebnis würde Europa endgültig zum reinen Absatzmarkt von US- und chinesischen Plattformen, wenn hier kein Umdenken stattfindet.
Nur mit Regulatorik wird man aber keinen eigenständigen EU-Digitalmarkt schaffen können. Es fehlt eine EU-Strategie zur Entwicklung einer eigenen Digitalwirtschaft sowie Strategien wie Grundlagenforschung zum Beispiel auf dem Feld der künstlichen Intelligenz in Produkte und Services im Digitalen Zeitalter umgesetzt werden kann. Die Entwicklung und Umsetzung solch einer Strategie wird zudem dadurch behindert, dass die EU-Mitgliedsstaaten sich in ihre nationalen Eigeninteressen verstricken, wie jüngst die Diskussion um eine EU-Digitalsteuer gezeigt hat. Irland, Dänemark und andere Staaten haben gegen die Einführung einer gemeinsamen Digitalsteuer gestimmt. Das AGB-Recht ist in den EU-Mitgliedsstaaten unterschiedlich. Da gleichzeitig Niederlassungsfreiheit gilt, können sich die chinesischen und auch die US-Techunternehmen dort in der EU niederlassen, wo die besten Rahmenbedingungen für sie vorliegen. So ist Amazon in Luxemburg ansässig und kann zum Beispiel nach luxemburgischen Recht Konten von Marktplatzteilnehmern von einem Tag auf den anderen Tag sperren, was einer fristlosen Kündigung gleichkommt.
Hinzu kommt, dass sich Deutschland zwar seiner sozialen Marktwirtschaft rühmt, aber mittlerweile bei Aufkommen neuer Technologien nahezu reflexartig zunächst die Risiken in der Gesellschaft diskutiert werden. Wir haben mittlerweile ein gesellschaftliches Klima, welches die Nutzung von Daten und die Wertschöpfung mit Hilfe derer als verwerflich ansieht. Chancen neuer Technologien werden selten unter dem Gesichtspunkt des gesellschaftlichen Nutzens und ihres möglichen Beitrages zum Wohlstand des Landes gesehen. Folge dieses gesellschaftlichen Klimas sind rasche Forderungen nach und die Einführung von Regulierungen, die im Ergebnis die Innovationskraft und Einführung neuer Technologien einschränken. Technische Möglichkeiten, die in den USA und China, entwickelt werden, kommen deshalb in Europa und Deutschland gar nicht in das Entwicklungsstadium oder in die Produktumsetzung, weil hier die gesellschaftliche Akzeptanz fehlt oder der Regulator es verbietet. Sie werden in Europa erst als Teil der großen Plattformen eingeführt und dann auch vom Verbraucher akzeptiert.
Beispielsweise wird die Produktion eines Autos alleine im Zeitalter von KI und Internet nicht mehr die Wertschöpfung sichern. Vielmehr ist es die Verknüpfung der einzelnen Services über die gesamte Wertschöpfungskette unter Nutzung von Daten , die hier über die gesamte Lebensdauer des Autos Wertschöpfung generiert. Insofern muss moderne Industriepolitik einen integrativen Ansatz verfolgen und die Verknüpfung von Produktion, Daten, KI und nachgelagerten Services im Auge haben.
Wie wir hinkommen: Mögliche Maßnahmen
Das Wettbewerbs- und Kartellrecht muss der Tatsache der digitalen Ökosysteme Rechnung tragen und diese zur Öffnung und Interoperabilität zwingen. Warum kann man von WhatsApp keine Nachricht zu Threema schicken? Warum öffnet Apple seine NFC-Schnittstelle nicht für Dritte? Nur mit obligatorischen Schnittstellen können Plattformen aus den USA und China gezwungen werden, auch innovativen Wettbewerbern aus Europa ihre Ökosysteme zu öffnen. EU-Kommissarin Vestager hat sogar den Vorschlag ins Spiel gebracht, Betreibern solcher Plattformen explizit zu untersagen, eigene Produkte auf der Plattform anzubieten. Google müsste sich auf das Suchmaschinengeschäft konzentrieren und dürfte keine Reiseportale oder Preisvergleichsdienste wie Google Shopping mehr betreiben. Amazon müsste sein Plattformgeschäft „amazon Marketplace“ von seinem Eigengeschäft trennen. Letztlich liefe diese Maßnahme auf eine Zerschlagung der Plattformenmonopolisierung hinaus.
Dies alleine wird aber keine europäischen Digitalchampions entstehen lassen. Hierzu bedarf es eines anderen gesellschaftlichen Klimas, welches die Nutzung von Daten und digitalen Technologien als Teil der modernen Volkswirtschaft begreift und akzeptiert. Europa muss ein gemeinsames Verständnis entwickeln, wie mit öffentlich verfügbaren Daten bzw. mit in der Öffentlichkeit generierten Daten umgegangen wird. Wer ist der Eigentümer von Daten und wie könnte eine Verpflichtung zum „Sharing von öffentlichen Daten aussehen“? Ein Gesetz zum Datenmanagement, welches die Generierung und Nutzung solcher Daten regelt, sollte in Betracht gezogen werden.All diese regulatorischen Maßnahmen können nur dann ihre Wirkung entfalten, wenn Basis-Technologien und innovative Geschäftsmodelle in Europa ent- und bestehen können. Hierfür braucht es eine umfassende und nachhaltige Digitalisierungs- und KI-Strategie der europäischen Partner. EU-Kommissar Oettinger hat vorgeschlagen, dass die EU 20 Mrd. Euro jährlich in den nächsten Jahren in künstliche Intelligenz investiert, um zu den USA und China wieder aufzuschließen.
Was noch zu sagen bleibt: Fazit
Wie bei der Produktion von Lebensmitteln hat es auch beim Wohlstand eine Entkoppelung zwischen den Voraussetzungen und dem Ergebnis gegeben. Viele von uns essen gerne Fleisch, aber breite Teile der Bevölkerung haben keine Vorstellung mehr, wie die Tiere aufwachsen, geschlachtet werden und letzten Endes das Lebensmittel produziert wird. Genauso verhält es sich mit der globalisierten Wirtschaft. Der Wohlstand Europas und der Bundesrepublik Deutschland wird als gegeben angesehen und vorausgesetzt. Dass sich eine Volkswirtschaft aber wandeln muss, um dauerhaft wettbewerbsfähig zu sein und sich dazu auch neuen Technologien zuwenden muss, wird in unserer Gesellschaft verdrängt.
Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr . Haucap hat es wie folgt zusammengefasst: „Eine Politik, die primär darauf abzielt, Besitzstände zu verteidigen (Google zerschlagen, Uber verbieten, Amazon regulieren), verhindert sowohl zahlreiche Chancen für Unternehmen und Unternehmer als auch Vorteile für viele Verbraucherinnen und Verbraucher. Eine Politik, die primär darauf abzielt, dass möglichst vieles so bleibt wie es ist und sich möglichst wenig verändert, blockiert auch den „Wohlstand für alle“. Die Kernfrage sollte heute nicht lauten, wie neue Technologien und Märkte unter „altes Recht“ gezwängt werden können („Preisbindung für Ebooks“, „Ladenöffnungszeiten für Online-Shops“ etc.), sondern wie ein Rechtsrahmen aussieht, der zum einen mögliche Fehlentwicklungen und unerwünschte Nebenwirkungen der Digitalisierung verhindert, jedoch zugleich nicht unangemessen Chancen verhindert und positive Wirkungen unterdrückt.“
Zur Digitalisierung gehört untrennbar die Verarbeitung von Daten. Wertschöpfung in der Digitalisierung heißt zwangsläufig Geschäftsmodelle zu entwickeln, die Mehrwerte für Unternehmen und Verbraucher schaffen. Dies geht nur über die Datenverarbeitung. Wer politisch die Verarbeitung von Daten grundsätzlich als Gefahr bezeichnet und dazu beiträgt, dass dieser Wirtschaftszweig gesellschaftlich nicht akzeptiert wird, darf sich nicht wundern, wenn die Digitalwirtschaft sich dort ansiedelt, wo sie freiere Entfaltungsmöglichkeiten hat. Die Digitalwirtschaft ist im Gegensatz zu Produktion und Servicedienstleistungen ortsungebunden.
Die USA und China haben die Digitalwirtschaft als Wachstumsfeld des 21. Jahrhundert identifiziert. Europa, vor allem Deutschland, muss den Umgang mit diesen Zukunftstechnologien und die daraus mögliche Wertschöpfung gesellschaftlich klären, um seine digitale Souveränität zu erlangen. Wir müssen akzeptieren, dass Digitalisierung und Daten Bestandteile von Volkswirtschaften und Wertschöpfung geworden sind. Der über ein Jahrhundert – insbesondere in Deutschland - hochgehaltene Grundsatz, dass die Entwicklung und Produktion von physischen Gütern den Wohlstand sichert, muss deshalb kritisch hinterfragt werden. Im 21. Jahrhundert werden Daten einen immer größeren Beitrag zur Volkswirtschaft leisten.