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Mit Computer Vision Handel visionär gestalten

Ein Beitrag von Stephan Tromp, stellvertretender HDE-Hauptgeschäftsführer

Tromp grossKünstliche Intelligenz ist in aller Munde und wird (zurecht) als große Chance für die Zukunft der Wirtschaft gesehen. Computer Vision ist für Politik und Gesellschaft dagegen noch ein blinder Fleck. Dabei ist maschinelles Sehen längst im Alltag präsent und bietet ein Füllhorn an Anwendungsmöglichkeiten gerade für den Handel vom Lager bis zum Check Out. Ich plädiere für eine offene und mutige Auseinandersetzung mit dem Thema, um Zukunft gestalten zu können, anstatt von ihr getrieben zu werden.

Mehr Mut durch Verständnis

Um Mut aufbringen zu können, braucht es in erster Linie Verständnis der Sachlage. Fangen wir also mit der Frage an: Was ist Computer Vision?

Computer Vision ist ein Teilgebiet der künstlichen Intelligenz, das sich damit beschäftigt, Informationen aus visuellen Daten zu extrahieren. Es soll bestimmte Objekte in Bildern identifizieren, lokalisieren und klassifizieren. Dabei orientiert sich Computer Vision an der menschlichen Fähigkeit Bilder zu erfassen, zu verarbeiten und zu analysieren. Dank der hohen Rechenleistung haben Maschinen mittlerweile in einigen Bereichen die menschliche Leistungsfähigkeit übertroffen. Immer, wenn wir die Bildersuche einschlägiger Suchmaschinen nutzen oder die Gesichtserkennung beim Hochladen von Bildern in sozialen Netzwerken, können wir die Fortschritte von Computer Vision nahezu in Echtzeit beobachten.

Maschinelles Sehen hat in den letzten Jahren riesige Fortschritte gemacht und bereichert nun unseren (visuellen) Alltag. Dennoch können komplexere Zusammenhänge noch nicht vollständig durch Maschinen erfasst werden. Das menschliche Auge bleibt am Ende der Sieger beim Erkennen von Bildinhalten.

Zusammengefasst erkennen Computer Vision Systeme an Hand visueller Parameter und klassifizieren das „Gesehene“. Nicht wenig für eine Maschine, aber auch nicht mehr als das. Was bedeutet diese technische Fähigkeit für den Handel und wo kommt es sinnvoll zum Einsatz? Von der Optimierung der Lager- und Ladenfläche über personalisierte Werbung und kassenfreiem Check-Out bis zum computergestütztem Diebstahlschutz – der sehende Laden könnte das Einkaufserlebnis vor Ort revolutionieren.

Denn seien wir ehrlich: Wer träumt nicht vom Laden, bei dem die Regale immer aufgefüllt, die Schlange an der Kasse der Geschichte angehört (weil es gar keine Kasse mehr gibt) und mir als Katzenbesitzer die irrelevante Werbung für Hundefutter nicht eingeblendet wird? Das wäre mit Computer Vision möglich. Die Frage ist: Wie gehen wir das vernünftig an?

Im fernen Osten und Westen ist ein Laden, der (uns) sieht, bereits Realität. In den USA, in Großbritannien und in China haben sich Computer Vision Lösungen mit und ohne Gesichtserkennung in Supermärkten zur Auswertung des Kaufverhaltens der Kunden durchgesetzt. Warenkörbe der In-Store-Kunden werden analysiert, passende Produkte empfohlen, kassenlose Stores, wie der neue Amazon Go Grocery, den ich in Seattle besuchen durfte, eingeführt. Im Übrigen benötigt die im Amazon Go eingesetzte Technologie keine Gesichtserkennung. Auf Deutschlands Straßen und Ladenflächen wird dies nur zögerlich getestet. Erste Versuche scheiterten an datenschutzrechtlicher Besorgnis und fehlender Akzeptanz der Kundschaft. Die deutsche Diskussion dreht sich um berechtigte Fragen: Was passiert mit den erfassten Daten? Wozu Gesichtserkennung? Greift der Datenschutz? Was darf KI? Diese Fragen müssen wir – auch gesamtgesellschaftlich – für uns beantworten. Ich plädiere jedoch dafür, sie mutig und visionär zu beantworten und sich nicht durch Ängste vor Technologie lähmen zu lassen.

Vision „Computer Vision“

Vor dem Internet war unser Verhalten standardmäßig privat. Mit der Einführung des Internets und seiner Ausbreitung in nahezu alle Lebensbereiche gewöhnten wir uns an den Gedanken, Daten zu generieren, die gesammelt, aufgearbeitet und genutzt werden. Oftmals sehen wir als Nutzer die digitale Welt als einen gesonderten, von unserer Realität abgespaltenen Ort, in dessen Grenzen das Sammeln von Daten und Verfolgen unserer Bewegungen durchs Netz akzeptabel sind. Computer Vision bricht mit dieser Illusion, da es die Sammlung von Daten in Echtzeit in der realen Welt, z.B. am Point of Sale, ermöglicht. Obwohl online ungleich viel mehr Daten generiert und verwendet werden als Offline, sind wir für das Offline ungleich sensibler. Insbesondere unser Gesicht als soziokulturelles Identifikationsmerkmal und Spiegel unserer Persönlichkeit ist in der Debatte um maschinelles Sehen ein gesellschaftspolitisch sensibles Thema. Dies müssen wir zur Kenntnis nehmen und akzeptieren: Der Handel hat seine Existenzberechtigung in der Erfüllung von Kundenwünschen. Solange die maschinelle Erkennung der Gesichtsparameter für die meisten Kunden ein No-Go ist, wird sie es auch für die Händler sein. Dies im Hinterkopf behaltend und unter der Prämisse, dass technischer Fortschritt dem Menschen dienen soll, möchte ich im Folgenden eine Vision für eine Welt und einen Handel mit Computer Vision skizzieren.

Der Handel braucht keine Gesichtserkennung, um die Vorteile von Computer Vision für sich nutzen zu können. Dank der Messtechnik, die Computer Vision Systeme bereits jetzt ausgezeichnet beherrschen, können biometrische Daten für die Differenzierung einzelner Kunden genutzt werden, um Geschäftsmodelle wie bequemes kassenlosen Bezahlen zu ermöglichen. Dabei sind die Kameras an der Decke montiert und nicht in der Lage, die Gesichter der Kunden zu filmen. Die Vision ist klar: Schnelleres Einkaufen des Alltäglichen, kein genervtes Warten in der Rush-Hour Schlange nach der Arbeit; stattdessen bequem sich an der Auslage bedienen, den Laden verlassen und das System bucht automatisch vom Kundenkonto die mitgenommene Ware ab. Hört sich gut an? Ist möglich!

Auch das automatische Verbergen von Gesichtern z.B. mittels Verpixelung, ist eine Möglichkeit die Vorteile von Computer Vision zu nutzen. In manchen Fällen wie der Kontrolle der Regale ist es notwendig, dass die Kamera auf Höhe des Gesichts des Kunden angebracht ist. Hier kann das Gesicht des Kunden direkt durch die intelligente Kamera unkenntlich gemacht werden, sodass nur der relevante Bereich – in diesem Fall das Sortiment im Regal – sichtbar ist. Die Vision ist eindeutig: Nie wieder das Lieblingsmüsli vergriffen sehen; immer aufgefüllte Regale und Lagerbestände, denn die Kamera in Verbindung mit dem Warenwirtschaftssystem ermöglicht Lager- und Regalverwaltung in Echtzeit, während der Händler sich auf das Zwischenmenschliche und Wichtige konzentrieren kann. Hört sich gut an? Ist möglich!

Nicht zuletzt ist es mit Hilfe von Computer Vision möglich, dynamische Marketingmaßnahmen zu initiieren, indem Kunden gruppiert werden. Geschlecht, Alterskohorte oder die Lokalisierung der Interessen mittels bereits im Warenkorb befindlicher Artikel ist mit Computer Vision machbar. Die Vision ist verständlich: Maßgeschneiderte Angebote für einzelne Kundengruppen, von denen alle profitieren können. Keine Aufmerksamkeit mehr vergeuden für Werbung, die völlig an den eigenen Bedürfnissen vorbeigeht. Hört sich gut an? Ist möglich!

Wie Sie sehen ist vieles möglich, die Visionen vom Handel mit Computer Vision vielfältig. Unbestritten sind auch die gesellschaftlichen und ethischen Fragen, die es im offenen Diskurs zu klären gibt, vielfältig. Mein Appell hinsichtlich der Beantwortung dieser Fragen bleibt: Lassen Sie uns mutig sein. Lassen Sie uns technisch aufgeschlossen sein. Lassen Sie uns gemeinsam ausloten, was im Rahmen des Kundenwunsches möglich ist.

 

Die Veranstaltungsreihe HDE-Forum Handel 4.0 beschäftigt sich am 10. März 2020 mit dem Thema: Computer Vision im deutschen Einzelhandel zwischen Zukunftsvision und German Angst - mehr Informationen unter www.einzelhandel.de/forumhandel40

 
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