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Baukultur als Chance für den Handel

Ein Beitrag von Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur

Nagel gross„Handel im Wandel“ ist ein Gemeinplatz. Im ständigen Wandel, den der Handel seit Jahrhunderten erfährt, waren die Innenstädte stets der ruhende Pol. Und umgekehrt konnten die Zentren auf den Handel zählen. Seit Beginn die Stadtgeschichte, war er der siedlungskonstituierende Faktor. Desintegrierte Shoppingcenter auf der „Grünen Wiese“ und zentrenrelevante Fachmärkte waren dabei die Herausforderungen der vergangenen dreißig Jahre. Aktuell sind es die Änderungen des Konsumentenverhaltens durch die Digitalisierung, die Innenstädte und Handel gleichermaßen vor gewaltige Herausforderungen stellen. Der stationäre Handel und die Städte sind dabei eine Interessens- und manchmal auch Schicksalsgemeinschaft. Den einen geht es um den unternehmerischen Erfolg, den anderen um das Flair, die Aufenthaltsqualität und die Standortattraktivität ihrer Stadt.

Handel als Stadtgestalter

„Wenn du ein Haus baust, denke an die Stadt!“ Dieser Aufruf des Tessiner Architekten Luigi Snozzi hat seine besondere Gültigkeit in den Stadtzentren und betrifft daher auch Geschäftshäuser und Handelsimmobilien. Mit ihnen entstehen nicht nur Orte für den Handel, sondern auch baulich ansprechende, qualitative Stadträume, in denen man sich gerne aufhält. Einzelhandel und Stadt können sich auf diese Weise gegenseitig in Attraktivität, Vitalität und Funktionalität stärken.

Zunehmend ist der Handel dabei nicht der einzige Nutzungsbaustein, um dauerhafte Lebendigkeit zu schaffen. Gastronomie, Kultur und Freizeitaktivitäten, aber auch alltägliches Wohnen stabilisieren die Zentren und beleben sie zu jeder Tageszeit. Erreicht die Ereignisdichte eine kritische Masse und erstreckt sich über den gesamten Tag, so wird das Zentrum einer Stadt Identifikationsort und Treffpunkt für die gesamte Stadtgesellschaft.

Vorrang für Bestandsimmobilien

Dabei spielt im innerstädtischen Bereich und gerade in mittleren und kleineren Kommunen die Bestandsentwicklung eine bedeutende Rolle. Sonst droht der Donut-Effekt, der bereits heute vielfach beobachtet werden kann: Das Zentrum steht leer, doch der Ort wächst am Rand durch neue Gewerbe- oder Einfamilienhausgebiete, Fachmarktzentren und Outlets.

Keine Frage: Der Umbau und Unterhalt von Bestandsimmobilien in integrierter Lage ist komplex und oft herausfordernder, als einen Zweckbau am Ortsrand neu zu bauen. Zumal die kleinteiligen Strukturen in vielen historischen Stadtzentren oftmals nicht dem Platzbedarf des Handels entsprechen. Aber die Bestandsentwicklung ist aus oben genannten Gründen baukulturell lohnenswerter – und auch möglich. Das zeigt eine Umfrage der Bundesstiftung Baukultur: Zwar gaben 58,8 Prozent der befragten Kommunen an, dass sich der Leerstand im Gewerbebereich im Ortskern konzentriere. Gleichzeitig meinten allerdings 61 Prozent der ebenfalls befragten deutschen Industrie- und Handelskammern, dass die Nutzung des historischen Gebäudebestands in Innenstädten für den Handel oder das Gewerbe „gut und imagebildend“ oder zumindest „machbar“ sei. Was also tun?

Gute Beispiele machen Mut: Wittlich

Um eine Stadt (wieder) nach vorn zu bringen, braucht es engagierte Menschen vor Ort, die Potenziale erkennen und gemeinsam heben wollen: Gewerbetreibende, Kommunalvertreter, Eigentümer und Bürger müssen in einer gemeinsamen Vision zusammenarbeiten. Dazu sind gute, transparente Prozesse nötig – und viel Kommunikation.

Wie es gehen kann, zeigt die rheinland-pfälzische Kommune Wittlich: Durch aktives Leerstandsmanagement (Programm „alwin“) unterstützt sie seit 2015 Unternehmer aus den Bereichen Handel, Handwerk, Kreativwirtschaft und Gastronomie und bringt sie mit Ladenbesitzern zusammen. Parallel zur Wirtschaftsförderung kümmert sich die Stadt um mehr Bewohner im Zentrum. Sie motiviert Hauseigentümer, ihre Immobilie zu sanieren – unter anderem mit Architekten-Beratungsgutscheinen und 25-prozentiger Sanierungsförderung. Mit Erfolg: Die Altstadt verzeichnet mittlerweile 50 Prozent mehr Einwohner.

 
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