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Stadt und Handel

Ein Beitrag von Prof. Dr. Carsten Kühl, wissenschaftlicher Direktor und Geschäftsführer Deutsches Institut für Urbanistik gGmbH

Kuehl grossStädte sind seit jeher Zentren wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Aktivitäten. Ihre Vorteile – vor allem die räumliche Dichte an Nutzungen und Bevölkerung – erweisen sich auch unter den Bedingungen zunehmender Virtualisierung und des damit einhergehenden Bedeutungswandels einzelner Standortfaktoren als überaus beständig.

Unter den verschiedenen städtischen Funktionen kam und kommt dem Handel eine besondere Rolle zu. Der Handel stellt mit seinen Angeboten nach wie vor einen der wichtigsten Anlässe dar, städtische Zentren aufzusuchen. Seine Kernaufgabe ist und bleibt die Versorgung mit Gütern verschiedener Bedarfe. Allerdings spielt der Handel im Zuge des Wandels des Einkaufsverhaltens mittlerweile auch eine immer stärkere Rolle für Erlebnis und Freizeit. Die Handelsorte übernehmen darüber hinaus eine soziale Aufgabe, indem sie wichtige Begegnungsorte der Stadtgesellschaft strukturieren. Zugleich sind die Handelsbetriebe wichtige Arbeitgeber.

Stadt und Handel weisen vielfältige Interdependenzen und Synergieeffekte auf. Signifikante Veränderungen der Orte des Handels haben sich damit immer auch auf Stadt, Stadtgestalt und Lebensqualität in den Städten ausgewirkt. In der Vergangenheit führten u.a. Passagen, Warenhäuser, Supermärkte, Shoppingcenter oder Fachmarktagglomerationen zu einer Um- oder Neustrukturierung städtischer Räume – und immer gab es Gewinner und Verlierer der Entwicklungen.

Seit etwa 20 Jahren wird über die Auswirkungen des Online-Handels diskutiert, zuerst als „Ablösung“ des klassischen Versandhandels, dann in Bezug auf einzelne, besonders online-affine Branchen (z.B. Bücher, Elektrogeräte). Mittlerweile ist klar, dass der Online-Handel eine weit größere Dynamik entfaltet – mit sehr vielschichtigen Auswirkungen auf Stadt und Raum. Zu den Folgen zählen beispielsweise der zunehmende Leerstand in klassischen Geschäftsstraßen, immer kürzere Nutzungszyklen von Handelsimmobilien, die Verödung öffentlicher Räume oder die Verschlechterung der Versorgungssituation in Teilräumen. Spürbar sind die logistischen Veränderungen auf Ebene der Stadtteil- und Ortszentren, aber auch in den Wohngebieten, z.B. durch Lieferverkehre oder Paketboxen. Durch die Wechselwirkungen mit anderen sozioökonomischen Entwicklungen (Stichworte: Demografie, Reurbanisierung) treten diese Veränderungen räumlich selektiv auf, d.h., in den verschiedenen Raumkonstellationen und -typen werden unterschiedliche Veränderungen und entsprechende Dynamiken wirksam.

Oft werden die Effekte des Online-Handels getrennt vom stationären Handel – d.h. im Sinne von zwei getrennten Welten „online-offline“ – betrachtet. Die Grenzen zwischen beiden Bereichen waren aber immer durchlässig. Der weiter wachsende Online-Handel zeigt: Die reale Stadt wird zunehmend von digitalen Strukturen überlagert. Diese Entwicklung fügt sich ein in die wachsende Digitalisierung und Vernetzung vieler Lebensbereiche, die sich auch in der Stadt zeigen. Die Digitalisierung ist allerdings nicht Ursache, sondern Katalysator der Veränderungen.

Trotz aller dieser Veränderungen zeigt sich jedoch, dass Städte nach wie vor gut besucht sind und Menschen sich dort gerne aufhalten. Dies vor allem dann, wenn die Städte ein attraktives Angebot bereitstellen und eine hohe Funktionsvielfalt aufweisen. Diese „Attraktivität der Innenstadt“ ist einer der zentralen Aspekte für die Lebendigkeit einer Stadt. Dazu trägt allerdings nicht nur der Handel bei. Wohnen, Gastronomie, Dienstleistungen der unterschiedlichsten Art, kulturelle Angebote, aber auch Benutzbarkeit und die Aufenthaltsqualität der zentralen öffentlichen Räume sind ebenso wichtig. Und so muss es für die Akteure vor Ort darum gehen, Städte insgesamt attraktiver zu machen.

Städte brauchen starke Innenstädte. Auch wenn die Trends immer schneller wechseln: Erforderlich sind auf Seiten der Akteure in Politik und Verwaltung klare Vorstellungen und Ideen, in welche Richtung sich die eigene Stadt entwickeln soll – und wie dies zu realisieren sein könnte, auch um nicht nur wirtschaftliche Interessen zu bedienen, sondern auch die sozialen Funktionen von Stadt zu fördern. Wie so oft ist Kooperation das Gebot der Stunde. Daraus ergeben sich auch neue Anforderungen an die Akteure des Einzelhandels und der Immobilienwirtschaft, aber auch weitere mögliche Partner, die das Interesse an einer funktionierenden Stadt verbindet. Sie müssen sich in stärkerem Maße als aktive Mitwirkende in die Partnerschaft mit Stadt und Quartier einbringen.

Es gibt dabei keine Patentrezepte für den richtigen Weg. Erforderlich sind stadtspezifische Strategien, die die jeweiligen örtlichen Rahmenbedingungen in den Blick nehmen und im Sinne einer lebenswerten und Gemeinwohl orientierten Stadt gestalten. Das Thema Einzelhandel – analog und digital – muss dabei seiner zentralen Bedeutung entsprechend gewürdigt werden.

 
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