Die Innenstadt ist tot – es lebe die Innenstadt? Wege, die Innenstädte wieder lebens- und liebenswert zu machen
18.119.122.140Enak Ferlemann, CDU-Bundestagsabgeordneter und parlamentarischer Staatssekretär a.D.
Ein Beitrag von Enak Ferlemann, CDU-Bundestagsabgeordneter und parlamentarischer Staatssekretär a.D. (Foto: Tobias Koch)
Flaniert man heute durch so manche deutsche Innenstadt, dann ergibt sich oft ein etwas trostloses Bild: Einstmals blühende Fußgängerzonen, in denen zu Geschäftszeiten reges Treiben herrschte, sind nur noch ein trauriger Abklatsch ihrer selbst. Viel Leerstand, wenig Kunden, und häufig ist der Hauch einer gewissen Vernachlässigung zu spüren.
Und wir alle sind vielleicht ein bisschen selber schuld an dieser Entwicklung. Nicht erst seit der Corona-Pandemie ist das Bestellen von Waren im Internet eine bequeme Variante zum Shoppen in der Innenstadt geworden. Bereits zuvor etablierten sich die Einkaufszentren auf der „Grünen Wiese“. Es ist ein seit Beginn der 2000er Jahre schleichender Prozess, der die Innenstädte langsam ausgeblutet hat, durch die Pandemie wurde dieser Niedergang beschleunigt. Der Leerstand bei den Geschäften hat sich erhöht und leere Schaufenster machen die Innenstadt nicht attraktiver.
Doch wir alle träumen insgeheim davon, eine lebendige Stadt zu haben, einen Ort, zu dem es sich lohnt zu gehen (oder zu fahren). Sei es für einen Bummel, sei es am Samstagmorgen beim Gang über den Wochenmarkt oder für eine Verabredung im Café. Dabei geht es nicht allein darum, seine Konsumbedürfnisse zu befriedigen, sondern auch um „rauszukommen“ und sich mit Freunden zu treffen.
Würde man die Menschen befragen, was sie sich von ihrer Innenstadt wünschen, käme sicherlich neben dem Wunsch nach Sicherheit, Sauberkeit und schneller Erreichbarkeit, auch der nach Attraktivität und Individualität des Angebots. Und vielleicht sogar der Wunsch, möglichst viel auf einmal zu erledigen und zu erleben. Ganz nach dem Werbemotto einer Supermarktkette: „Einmal hin, alles drin“.
Einige Städte haben erste Versuche gestartet, dem veränderten Konsumverhalten der Kunden entgegenzukommen. Als Beispiel sei hier Berlin/Bezirk Charlottenburg Wilmersdorf genannt, der schon vor mehr als zehn Jahren eines seiner Bürgerämter in eine Shopping-Mall verlegt hat. Will sagen: Das Angebot in der Innenstadt muss sich erweitern. Ob Behörde, Kunst und Kultur, oder aber Spaß und Kommunikation. Straßenfeste und Konzerte, Open-Air-Kino, Gastronomie. Und auch Platz für Wohnen und Arbeiten, das Handwerk und Gewerbe. Alles kann sich in der Innenstadt konzentrieren.
Innenstädte können sich wieder zu einem Ort des ökonomischen und kulturellen Zusammenlebens entwickeln, doch davor sind Hürden zu überwinden. Nicht nur politische, sondern auch gesellschaftliche!
Denn während, nehmen wir wieder das Beispiel Berlin, in einigen Vierteln davon geträumt wird, sie vollständig vom Auto zu befreien, müssen dort ansässige Gewerbetreibende ihren Standort aufgeben, weil sie auf ihr Auto angewiesen sind, bzw. auf Kunden, die mit dem Auto zu ihnen kommen. Dies ist exemplarisch für ein Auseinanderdriften von gesellschaftlichen Interessen. Die neue Innenstadt braucht ein kompromiss-orientiertes Miteinander. Nur wo Handel-Gewerbe-Kultur-Wohnen einvernehmlich koexistieren, kann ein prosperierendes Viertel, bzw. eine lebendige Innenstadt bleiben, bzw. entstehen.
Als Politik können wir die Rahmenbedingungen hierfür schaffen. So muss sicherlich in Sachen Lärmschutz eine Öffnung vollzogen werden, schnelles Internet muss selbstverständlich sein, Ladenöffnungszeiten bedürfen einer größeren Flexibilität, ebenso die Genehmigung von Events, wie für Markttage, Kirmes oder Konzerte.
Doch es sind nicht allein die rechtlichen Rahmenbedingungen, die für eine Neuorientierung der Innenstädte entscheidend sind. Wir müssen auch als Gesellschaft wieder zueinanderfinden und Kompromisse entwickeln, um allen Interessen so weit wie möglich gerecht zu werden. Es muss allen klar sein, dass eine lebendige Innenstadt die Lebensqualität enorm steigern kann, aber auch den Wohlstand unseres Landes stützt. Nur wenn wir einen gesellschaftlichen Konsens finden, erhalten wir eine lebenswerte Stadt auch für die Zukunft.
Auch das handelsjournal widmet sich in seiner Ausgabe 3/2022 dem Schwerpunkt "Neubestimmung des Standorts Innenstadt".
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