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Das fehlende Gewerbemietrecht - Die hohen Gewerbemieten sind das Hauptproblem der Innenstädte

Portrait Canan Bayram MdB kleinCanan Bayram, Bundestagsabgeordnete Bündnis 90/Die Grünen

Ein Beitrag von Canan Bayram, Bundestagsabgeordnete Bündnis 90/Die Grünen

Portrait Canan Bayram MdB grossDer Fall der Buchhandlung „Kisch & Co“ in der Kreuzberger Oranienstrasse schaffte es letztes Jahr in eine breitere Öffentlichkeit. Weil die neuen Eigentümer*innen, organisiert in einem internationalen Immobilienfond, immense Mietsteigerungen verlangten, und die Betreiber*innen der Buchhandlung diese Forderungen nicht bezahlen konnten und wollten, wurde ihnen gekündigt. Knapp ein Jahr lang standen die Ladenräume leer. Gut zwei Jahrzehnte lang hatte der Buchladen den Ruf der Strasse als einen lebendigen Ort – unter anderem als Buchhandels-Meile – mit aufgebaut. Diesen „kulturellen Profit“ nehmen die neuen Eigentümer*innen, darunter einige Millionen-Erb*innen aus dem Hause Tetra-Pak, gerne mit. Was für die einen ihr täglicher Broterwerb ist, ist für andere eine lukrative Anlagemöglichkeit für ihr Kapital.

Mit diesem Beispiel möchte ich auf einen Aspekt hinweisen, der meiner Meinung nach in der ganzen Debatte um die Innenstädte viel zu wenig beleuchtet wird: Ein seit über hundert Jahren fehlendes Gewerbemietrecht in Deutschland, um das bestehende Gewerbe zu schützen. Viele kleine inhabergeführte Läden werden durch die Dynamiken der Immobilienwirtschaft vertrieben, die Eck-Kneipe, der Buchladen, die Kindertagesstätte, der kleine Modeladen, die Autowerkstatt, oft nachdem sie ein Viertel mit aufgewertet haben. In der folgenden Runde der Immobilienverwertung ziehen die Ketten ein, die als einzige noch die hohen Mietpreise aufbringen können. Und dann wird die Verödung der Innenstädte beklagt.

Deshalb habe ich in der letzten Legislaturperiode im Deutschen Bundestag zusammen mit meiner Grünen Fraktion ein Gesetz zum Schutz der kleinen Gewerbetreibenden und Sozialen Projekte eingebracht. Konkret geht es darum, diese in von den Kommunen bestimmten „Gebieten mit angespanntem Gewerbemietmarkt“ vor übermäßigen Mieterhöhungen und unbegründeten Kündigungen zu schützen, sowie ihnen einen Verlängerungsanspruch für ihren befristeten Gewerbemietvertrag zu geben.

Dieser geplante Schutz für die kleinen Gewerbetreibenden ist auch im Interesse des gesamten Handels. Die kleinen inhabergeführten Gewerbe bilden die sozialen Anker der Standorte. Niemand hat etwas davon, wenn in den Innenstadtbezirken nur noch Gewerbe des hochpreisigen Segments existieren können sowie die Wohnungen als Kapitalanlage und nicht als „zuhause“ begriffen werden. So entstehen die letztlich toten Viertel, die wir inzwischen aus Paris und London kennen.

Gerade mein Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg und Prenzlauer Berg Ost ist in der Öffentlichkeit bekannt durch eine lebendige und kleinteilige Wirtschaft der Alternativszene und von Einwanderer*innen. Zwar werden diese als Biotope der Kreativwirtschaft in den Feuilletons abgefeiert, aber bei ihren wirtschaftlichen Grundlagen schlägt man ihnen mit überhöhten Mietforderungen die Beine weg. Diese Ökonomie der Kreativ-Wirtschaft im weitesten Sinne ist geprägt von vielen kleinen Läden des täglichen Bedarfs, Restaurants, von kleinen Theatern und Kinos, vielen Verlagen bis hin zu großen internationalen Musiklabels am Spreeufer. In letzter Zeit drängen immer mehr große Konzerne wie Google und Amazon sowie eine sie begleitende spezielle Kultur von Start-Ups in den Bezirk, für die das Leben der Bewohner*innen eher eine Kulisse für das eigene Image ist. Faktisch bewirken diese Konzerne für viele Gewerbetreibende und Bewohner*innen einen Verdrängungsdruck, weil sie weder bei den dann aufgerufenen Mieten – und wir reden hier von Steigerungen um bis zu 400 Prozent - noch bei den Preisen in den Läden mithalten können.

Gegen diese Dynamiken der Immobilienwirtschaft helfen nur starke soziale Mietgesetze für kleine Gewerbetreibende, Soziale Projekt und Mieter*innen, welche die Höhe und den Anstieg der Mieten substanziell beschränken. Denn nur so entstehen die Nischen und Biotope, aus denen neues Leben – besonders in den Städten – erwächst. Als Ergebnis bekommen wir dann lebendige Innenstädte.

 

  HajourCoverKLEIN

Auch das handelsjournal widmet sich in seiner Ausgabe 3/2022 dem Schwerpunkt "Neubestimmung des Standorts Innenstadt".

Mehr Informationen zum Heft unter https://bit.ly/3OVizDi

 

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