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Nutzungsvielfalt – neue Chancen für lebendige und krisenfeste Innenstädte

Ein Beitrag von Isabel Cademartori, Bundestagsabgeordnete für die SPD (Foto: © Isabel Cademartori MdB)

Cademartori 1 grossInnenstädte sind seit jeher nicht nur Orte des Handels, sondern auch gesellschaftliche Treffpunkte und vor allem Identifikationsorte. Tote Innenstädte sind deshalb deutlich mehr als ein ausbleibender Wirtschaftsfaktor – sie sind fehlende Lebensqualität. Allerdings stehen unsere Innenstädte vor enormen Herausforderungen, die sie sowohl aus der Pandemie als auch aus sich stetig verändernden Konsummustern resultieren. Um Resilienz und Anpassungsfähigkeit zu stärken, ist jetzt der Zeitpunkt unsere Zentren neu zu erfinden.

Was wir brauchen: mehr Vielfalt und gemischte Zentren. Diese bieten nicht nur Einkaufsmöglichkeiten, sondern auch ein multifunktionales Angebot an Kultur, Wohnen, Sport und Gastronomie. Das macht sie krisensicherer als monofunktional geprägte Innenstädte. Hierzu gehört auch die Nutzungsmischung innerhalb von Gebäuden mit einer Kombination aus Gastronomie, Einzelhandel, Verwaltung, Dienstleistungen und Wohnmöglichkeiten („Mixed-Use-Immobilien“). Um das umzusetzen, brauchen unsere Innenstädte Unterstützung.

Rahmenbedingungen vereinfachen und bezahlbare Mieten schaffen
Der beste und schnellste Weg, die nutzungsgemischte Innenstadt zu fördern, ist die temporäre Zwischennutzung leerstehender und ungenutzter Liegenschaften durch Betriebe, Handwerker, Künstler, Bildungseinrichtungen zu ermöglichen.

Außerdem braucht es einen klaren und einheitlichen Rahmen für das Gewerbemietrecht. Wichtig ist vor allem, dass sowohl die Mieten für Gewerbeimmobilien als auch für Wohnraum in den Innenstädten bezahlbar bleiben. Hierfür ist eine Weiterentwicklung des kommunalen Vorkaufsrechts dringend nötig.

Ein wichtiger Faktor für die Lebensqualität ist die Kultur. Theater, Clubs, Galerien und Musikspielstätten gehören in die Stadtzentren. Sie dürfen nicht aus Lärmschutzgründen an den Stadtrand verdrängt werden. Natürlich braucht es tragbare Kompromisse aber auch Kompromissbereitschaft mit den anderen Nutzern der Innenstadt, allen voran den Einwohnerinnen und Einwohner. Ein Zielkonflikt, der durch die Anpassung der Baunutzungsverordnung gelöst werden muss.

Ganzheitliche Konzepte hin zu smarten Städten und Regionen entwickeln
Die allumfassende Digitalisierung bietet eine große Chance, Innenstädte zu revitalisieren und Wohn- und Lebensräume neu zu denken. Digitale Services bieten ungeahnte neue Möglichkeiten der Interaktion und gesellschaftlichen Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger. Smart-City-Apps beispielsweise geben Tipps zu Kulturangeboten, weisen auf Baustellen hin und geben Auskunft über freie Parkplätze oder verfügbare Leihfahrräder. So schaffen wir neue Anreize, die Innenstädte zu frequentieren. Bei der Entwicklung von umfassenden Smart-City-Konzepten sollen Kommunen besser unterstützt und beraten werden.

Lebensqualität durch Freiraum erhöhen
Statt großer Verkehrsknotenpunkte brauchen unsere Zentren begrünte Plätze und multifunktionale Freiräume. Parkhausdächer auf denen beispielsweise Sportplätze oder Parks gebaut werden, nutzen sowohl dem Klima als auch dem Wohlbefinden der Bürgerinnen und Bürger. Neue Freiräume für mehr Lebensqualität zu schaffen geht jedoch nicht ohne Widerstände – insbesondere wenn diese auf Kosten des Autos gehen. In meiner Heimat Mannheim stellen wir uns dieser Herausforderung und versuchen durch neue Verkehrsführung zusätzliche Aufenthaltsflächen zu schaffen. Dafür nehmen wir den Durchgangsverkehr aus der City zu nehmen, ohne die Erreichbarkeit zu gefährden. Die Entspannung durch weniger Autoverkehr ist spürbar, der erbitterte Widerstand von Teilen des Handels allerdings auch. Leider gelingt es noch nicht, trotz aller Bemühungen, übergreifend die Bereitschaft zu wecken, sich konstruktiv an den anstehenden Transformationsprozessen zu beteiligen. Aber auch das ist nicht neu – bei der Einführung der ersten Fußgängerzone in den 1970er Jahren war das Geschrei auch groß: das sei der Tod des Einzelhandels. Heute sind genau dort die teuersten und begehrtesten Handelsflächen.

Innovative Konzepte ausprobieren und den Austausch stärken
Der Verkehrsversuch in Mannheim ist eins der zahlreichen kommunalen Beispiele für Experimentierräume und Reallabore in den deutschen Innenstädten, die vor Ort temporäre Umnutzung erproben. Sie bieten große Chancen für unsere Zentren, erfordern jedoch von allen Akteuren viel Mut, Flexibilität und Veränderungsbereitschaft. Nicht alles was wir ausprobieren kann ein Erfolg werden. Um die Vielfalt jedoch weiterhin zu stärken und neue, kreative Konzepte zu erproben, müssen Politik, Verwaltung, Handel und Stadtgesellschaft weiter im kontinuierlichen Austausch bleiben. Nur die Beteiligung aller gesellschaftlichen Gruppen wird die Neugestaltung unserer Innenstädte zum Erfolg führen.

 

   HajourCoverKLEIN

Auch das handelsjournal widmet sich in seiner Ausgabe 3/2022 dem Schwerpunkt "Neubestimmung des Standorts Innenstadt".

Mehr Informationen zum Heft unter https://bit.ly/3OVizDi

 

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