Zukünftige Entwicklung der (Innen-)Städte
Ein Kommentar zur Innenstadtentwicklung von Michael Reink, Bereichsleiter Standort & Verkehr
Die zukünftige Entwicklung der Innenstädte als Handelsstandorte Nummer eins kann unter mehreren Gesichtspunkten betrachtet werden. Hierbei können die Städtegrößenklasse, die Lage im Raum, die soziodemographischen Kennziffern sowie auch die Wertigkeit des Handels (z.B. Branchenmix) oder auch die Möglichkeiten der Aktivitätenkopplung eine große Rolle bei der Beurteilung der Zukunftsfähigkeit einzelner Innenstädte spielen.
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die Bedeutung des Handels für die Innenstädte im Zuge der Umsatzverschiebungen in den Online-Handel nachgelassen hat. Deutliche Implikatoren für diese These sind die veränderten Konsumgewohnheiten in Verbindung mit den nachlassenden Frequenzen sowie den daraus folgenden sinkenden Umsätzen des stationären Einzelhandels.
Die Ursache liegt unter anderem in der Stärke des Online-Handels (starke Kundenfokussierung, Bequemlichkeit, Warenverfügbarkeit, Preis) sowie in der Tatsache begründet, dass der stationäre Handel seine Jahrhunderte währende „Alleinstellung der Warenverfügbarkeit“ verloren hat. Klingt trivial, ist jedoch der eigentliche „Gamechanger“, da dies auch eine neue Rolle für die Innenstädte bedeutet.
Der Handel war bisher die dominierende Funktion der Innenstädte. Viele Städte wurden nur aufgrund der strategisch günstigen Lage an einem Handelsweg gegründet – das Baurecht wurde in entscheidenden Passagen nur für die Steuerung der Handelsansiedlung geschaffen. Diese Bedeutung des Handels ist auch stark mit der hierarchischen Zuordnung der Städte verbunden, da die Raumplanung versucht, die Einzugsgebiete der unterschiedlichen städtischen Funktionen zu harmonisieren. Daher dürfen in Oberzentren beispielweise Händler mit einem großen Einzugsgebiet genauso ansiedeln, wie bedeutende Gerichte mit einem flächenmäßig weiten Zuständigkeitsraum.
Bei aller Funktionsvielfalt in den Innenstädten ist festzuhalten, dass der Handel immer die größte Sogwirkung für die Innenstädte auslöst – und dies tagtäglich. Diese „täglichen“ Effekte unterscheiden den Handel signifikant von allen weiteren Innenstadtfunktionen. Selbstverständlich führen die unterschiedlichen Bedarfsgruppen des Handels ebenfalls zu unterschiedlichen (täglichen, periodischen, aperiodischen) Nachfragen. In der Summe schafft diese hohe Nachfrage aber nur der Handel. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass die Versorgung der Bevölkerung mit Waren aller Art nur durch den Einzelhandel sichergestellt wird. Es gibt keine staatliche kognitive Struktur, so dass eigentlich ein einseitiges Abhängigkeitsverhältnis besteht.
Für viele der weiteren Funktionen in den Innenstädten (z.B. Gastronomie, Dienstleistungen) bedeutet dies, dass diese zur Erlangung der eigenen Stärke auf den Handel angewiesen sind. Daher: Stirbt der Handel – stirbt die Stadt. Somit ist die nachlassende Sogwirkung des Handels kein handelsendogenes Problem, sondern strahlt deutlich auf das Gesamtgefüge „Innenstadt“ aus.
Leerstände als zunehmendes funktionales und städtebauliches Problem
Im Konkreten hat dies in kurzer Zeit zu einem deutlichen Anstieg von Leerständen führen. Diese Entwicklung hat der Handelsverband Deutschland in Zusammenarbeit mit dem Bundebauministerium infolge der Studie „Online-Handel – Mögliche räumliche Auswirkungen auf Innenstädte, Stadtteil- und Ortszentren“(DIFU/ BBE) bereits 2016 herausgearbeitet. Leider ist durch den katalytischen Effekt der Corona-Krise diese negative Entwicklung rascher vorangeschritten, so dass es zu einem sprunghaften Anstieg in einzelnen Kommunen gekommen ist. Zudem ist zu befürchten, dass die Häufung von Leerständen zu sogenannten „leerstandsinduzierten Leerständen“ führt, was meint, dass der Handelsstandort schon derart degradiert und aus Handelssicht funktionsschwach ist, dass die Kraft des einzelnen (guten) Händlers nicht mehr die existenzerhaltende Sogwirkung auslösen kann, so dass eine Negativspirale in Gang gesetzt wird, die auch z.B. durch Städtebaufördermittel nicht weiter aufzuhalten ist. Diese Situation ist leider nicht fiktiv – in Frankreich ist sie bereits real (Exkurs: Frankreich hat ein anderes Städtesystem, welches weniger resilient ist als das „System der Zentralen Orte“, auf dass das deutsche Planungs- und Raumordnungsrecht aufgebaut ist).
Diese Sachzusammenhänge sind insbesondere bei den kommunalen Spitzenverbänden sowie den jeweils führenden Personen der Kommunalverwaltung bekannt. Letztere erkennen die Wechselwirkungen auch in den Gewerbesteuereinnahmen. Daher ist die Sensibilität für die Probleme und Notwendigkeiten in den letzten Jahren gestiegen. Dies ist jedoch leider keine generell verbindliche Aussage, da in den Stadtverwaltungen zum Teil immer noch Planer arbeiten, für die die Steuerung des Einzelhandels eine unangenehme Aufgabe mit erheblichem Arbeitsaufwand und Stresspotenzial bedeutet. Dass der bisher hohen Flächenduck auslösende Handel nun städtebauliche Unterstützung benötigt, ist ein Paradigmenwechsel. Der Handelsverband Deutschland führt u.a. deshalb Vor-Ort-Gespräche im Rahmen der „Allianz für Innenstädte“ mit dem Deutschen Städte- und Gemeindebund durch.
Exkurs: In diesem Zusammenhang sei darauf verwiesen, welche Bedeutung jede einzelne Kommune für die weitere Handelsentwicklung hat. Während der Bund und die Länder planungs- und raumordnungsrechtlich nur einen Rahmen vorgeben können, gilt in Deutschland die „kommunale Planungshoheit“:
Artikel 28 Grundgesetz besagt, dass den Gemeinden das Recht gewährleistet sein muss, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Daher werden nach § 1 Abs. 3 Baugesetzbuch (BauGB) die Bauleitpläne von der Gemeinde in eigener Verantwortung aufgestellt „sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist“. Die besondere Rolle der Innenstadtentwicklung wird durch § 1 Abs. 5 Satz 3 BauGB unterstrichen: „Hierzu soll die städtebauliche Entwicklung vorrangig durch Maßnahmen der Innenentwicklung erfolgen.“
Sprich: Geplant und entschieden wird immer vor Ort, auch wenn die Planungen der unterschiedlichen Ebenen (Bund, Länder, (Regionen), Kommunen) durch das sogenannte „Gegenstromprinzip“ aufeinander abgestimmt sein müssen: „die Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Gesamtraums soll die Gegebenheiten und Erfordernisse seiner Teilräume berücksichtigen“ (§ 1. Abs. 3 Raumordnungsgesetz (ROG)).
Digitalisierung der „Nachbarn des Handels“
Gleichzeitig wächst die Abhängigkeit des Handels von seinen „Nachbarn“. Die Konsumenten müssen im Zuge der Digitalisierung im Handel nicht mehr zwingend zur reinen Befriedigung der Warenbedürfnisse den stationären Handel respektive die Innenstädte besuchen. Daher muss der Handel und müssen die Innenstädte ihre Rolle neu definieren. Die Erweiterung der Vertriebswege der stationären Händler auf den Online-Handel ist dabei einer der erfolgversprechenden Wege, Investitionen in das „Look and Feel“ (Ladenbau) ebenso. Voraussichtlich lassen sich jedoch die größten Potenziale bei der Digitalisierung am Point of Sale heben. In diesem Bereich ist mit den interessantesten Innovationen zu rechnen.
Letztere zahlen auch auf ein zukünftiges Schlüsselelement der Innenstadtentwicklung ein: Innenstädte als Orte der Kommunikation. Die Vernetzung aller laufenden täglichen Prozesse wird weiter zunehmen. Hierzu hat sich der Begriff Phygital durchgesetzt, welcher auch gern bei Smart-City-Projekten verwendet wird. Leider existiert bisher keine Realdefinition des Begriffs Smart-City, so dass sich ein loses Sammelsurium unterschiedlicher Ideen und Projekte darin verbirgt. Allen ist jedoch ein Zukunftsglaube an die Problemlösung durch Digitalisierung zu Eigen. Dies können Projekte des E-Gouvernements, öffentliches W-LAN, Online-Reservierungen von öffentlichen Parkplätzen etc. sein. Maßnahmen und Projekte der „Smart City“ werden aber definitiv ein Teil der Lösung sein. Als Schlüsselbegriff einer Strategie ist er jedoch zu diffus.
Auch wenn der Handel an Sogwirkung verliert, darf nicht vergessen werden, dass der Handel in Städten mit stark nachlassender Handelsfunktion in der Regel auch in Zukunft die dominante Funktion sein wird. Dies stellt heraus, dass diese Städte tiefergehende Funktionsstörungen aufweisen. Das mindert auch die Zukunftsaussichten für den Handel in diesen Städten.
Bisher sind diese Funktionsstörungen in kleinen Landgemeinden bzw. Grundzentren (je nach Bevölkerungsdichte im jeweiligen Bundesland bis zu 20.000 Einwohner) zu beobachten. Jedoch sind diese Prozesse nahezu abgeschlossen, so dass die Handelsausstattung sich stark auf die Nahversorgung konzentriert. Ausnahmen bestätige auch hier die Regel - die Grundzentren werden jedoch voraussichtlich stabil bleiben (auf sehr niedrigem Niveau). Dies hängt auch mit der Unattraktivität für den Online-Handel durch geringe Bevölkerungsdichten und langen Versorgungswegen zusammen.
Andres ist die Situation in den Mittelzentren (je nach Bevölkerungsdichte im jeweiligen Bundesland 20 – 100.000 Einwohner), insbesondere in der Nähe von Großstädten bzw. Oberzentren (> 100.000 Einwohner).
Diese fungierten bisher als zentraler Ort für mehrere Grundzentren, um dort die Bedürfnisse neben der reinen Nahversorgung zu befriedigen. Aufgrund der mittelgroßen Einzugsgebiete haben die Mittelzentren jedoch spezielle Angebote nie vorhalten können. So macht es z.B. betriebswirtschaftlich keinen Sinn, mehrere Sportanbieter vorzuhalten bzw. in einer Branche ein sehr tiefes Angebot anzubieten. Das schließt jedoch automatisch einzelne Produktgruppen oder Marken in einer Branche aus. Dieses mittelmäßig diversifizierte Angebot wurde aber aufgrund der (zu) langen Distanzen in das Oberzentren (mit einem vollständigen Warenangebot – tief und breit- ) akzeptiert.
Das Verbraucherverhalten hat sich jedoch diesbezüglich sehr verändert. Der Online-Handel bewirkt, dass der einzelne Kunde beim Beziehen seines Wunschproduktes nicht mehr auf Kompromisse einlassen muss. „Jede Berghütte bietet das Angebot von New York – wir tragen es immer in Form von Smartphones immer bei uns“. Daher schwindet die Akzeptanz eines mittelmäßigen Branchenmixes, sowie mittelmäßiger Angebotsbreite und –tiefe. Die stattdessen stärker zu beobachtende Orientierung in die Oberzentren steigt mit der räumlichen Nähe eines Mittelzentrums zu einem Oberzentren. Daher ist mit den stärksten Verwerfungen in Mittelzentren mit bereits schwacher Handelsausstattung, städtebaulichen Mängeln sowie räumlichen Nähe zu einem Oberzentrum zu rechnen.
Thema „städtebauliche Mängel“: Die Innenstädte werden sich immer stärker zu Orten der Freizeitbeschäftigung entwickeln müssen (ausgenommen Kleinstädte – reine Versorgungspunkte). Man spricht auch gern vom „Third Place“ (1. Arbeit, 2. Wohnen, 3. Freizeit). Daher steigt der Wert der Attraktivität einer Innenstadt. Über Studien wie „Vitale Innenstädte“ oder „Deutschlandstudie Innenstadt 2022“ wissen wir, dass sich diese Attraktivität für die Bürger/Kunden vornehmlich durch „bauliche Gestaltung“ sowie „öffentliche Räume“ ausdrückt. Beides Bereiche, bei denen der Handel oft nur eine mittelbare Rolle spielt. Daher ist der Handel stark auf gute Partnerschaften u.a. mit den Kommunen angewiesen. Das Thema „Baukultur“ tritt dabei immer weiter in den Mittelpunkt der Stadtplanung. Die Bundesstiftung Baukultur, der Deutsche Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung sowie urbanicom führen daher seit einigen Jahren den „Handelsdialog Baukultur“ durch, um beste baukulturelle Beispiele aus dem europäischen Ausland zu studieren. In diesem Zusammenhang wurden 2018, 2016 und 2022 Delegationsreisen durchgeführt. Zudem ist die „Baukultur“ auch ständiges Thema auf dem Handelsimmobilienkongress des Handelsverband Deutschland, da die Eigentümer bzw. Investoren wichtige Partner bei der baulichen Gestaltung der Innenstädte sind.
Die Abhängigkeit von und die Zusammenarbeit mit Partnern wird für den Handel immer wichtiger. Durch die Planungshoheit der Gemeinden, sind die Kommunen nach wie vor Partner Nummer eins. Daher haben der Handelsverband Deutschland (HDE), der Deutscher Städtetag (DST) und der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) unterschiedliche Austauschformate entwickelt (Allianz für Innenstädte, urbanicom, generelle Einbindung der kommunalen Spitzenverbände in den HDE-Handelsimmobilienkongress, Absprachen bei städtebaulichen Stellungnahmen, gemeinsame Studien, turnusmäßige gegenseitige Einladungen in die Fachausschüsse etc.). Die nachlassende Sogwirkung des Handels für lebendige Innenstädte muss jedoch immer stärker von anderen Innenstadtfunktionen aufgefangen werden, da die eigentliche Stäke der Innenstädte die Aktivitätenkopplung der Besucher ist (z.B. Arztbesuch + Cafébesuch + Einkauf). Schwierig erweist sich dabei, dass viele der weiteren Funktionen ebenfalls die Versorgungsnetze durch die zunehmende Digitalisierung konsolidieren. Banken, Versicherungen oder die Post werden kaum positive Impulse für weitere Entwicklung der Innenstädte auslösen können.
Eine bisher bewusst aus den Innenstädten gedrängte Funktion ist die Produktion. Diese kehrt bereits heute sukzessive in die Innenstädte zurück. Dies hängt zum einen mit smarten Produktionsweisen und verbesserten aktiven und passiven Schallschutz zusammen. Auf der anderen Seite mit den in vielen Innenstädten und Stadtteilzentren sinkenden Mietpreisen. Das Handwerk hat schlicht wieder die Möglichkeit in die Innenstädte zurückzukehren. Aufgrund der geringen Flächengrößen sowie hohen Mangen konnten sich einige der vormals typischen Handwerksberufe immer in den Innenstadtlagen halten (z.B. Optiker, Juweliere). Diese werden sogar als Handelsunternehmen bewertet. Nun kehren weitere handelsnahe Manufakturbetriebe in die Innenstädte zurück, die über eine sinnstiftende Schaufenstergestaltung sogar in ehemalige Handelsgeschäfte einziehen könnten, um somit einen Teil der Leerstände zu kompensieren. Über die Größenordnungen sowie die Wirkungen liegen bisher kaum Studien vor. Jedoch hat sich urbanicom im Rahmen der 42. Studientagung 2019 diesem Thema intensiv gewidmet und das große Interesse an Innenstadtstandorten bei den Handwerkern herausgearbeitet (Zusammenarbeit mit dem Zentralverband des deutschen Handwerks (ZDH)). Trotzdem muss festgehalten werden, dass dadurch zwar die Funktionsvielfalt der Innenstädte steigen wird, jedoch die Effekte auf die Innenstadt als „Zentrum der Kommunikation“ sowie „Third Place“ nur partiell positiv beeinflusst werden (denkbar z.B. Nutzungsmischung: Fahrradmanufaktur + Café).
Daher müssen andere Funktionen stärken in den Vordergrund treten: Gastronomie, Kultur, Kreativwirtschaft. Diese zahlen wiederum auf die Innenstadt als „Zentrum der Kommunikation“ sowie den Gedanken des „Third Place“ ein. Doch auch die Gastronomie befindet sich in einer Metamorphose und die Kreativwirtschaft sowie insbesondere Kultur erwirtschaften wesentlich weniger Gewerbesteuereinnahmen für die Kommunen als der Handel, bzw. belasten sogar die kommunalen Haushalte.
Erreichbarkeit und Stadtumbau
Daher wird die Kompensation von Verlusten in Stadtwerken immer kritischer gesehen. Zudem werden freiwillige Aufgaben in den kommunalen Haushalten gestrichen bzw. notwendige Infrastrukturmaßnahmen z.B. zur Verbesserung der Erreichbarkeit der Innenstädte verschoben. Die geringeren Gewerbesteuereinnahmen infolge der Corona-Krise verschärften diese Situation. Der Unterschied zwischen reichen Kommunen und solchen, die ihren „Nothaushalt“ erst durch das jeweilige Bundesland bestätigen müssen (die oberste Kommunalaufsicht liegt bei den Innenministerien der Länder), wird steigen. Da der Nahverkehr immer und seit Jahren (übrigens unter strengem Blick der EU) von den anderen Stadtwerken quersubventioniert wird, werden schon heute die Nahverkehrsnetze ausgedünnt. Diese Subventionierung des Nahverkehrs sorgt dafür, dass bezüglich der Gewinne der Stadtwerke, die den kommunalen Haushalten zufließen, vermehrt Diskussionen über die Tragfähigkeit des kommunalen Nahverkehrs geführt werden. Motto: Weniger öffentlicher Nahverkehr, mehr finanzieller Spielraum im kommunalen Haushalt. Es ist daher zu befürchten, dass die gute Erreichbarkeit der Innenstädte nach wie vor ein strittiger Punkt sein wird. In diesem Zusammenhang müssen auch altbewährten Mustern hinterfragt werden. Durch die derzeitigen gesellschaftlichen Prozesse sowie das Mobilitätsverhalten der jüngeren Bevölkerungsgruppen, erscheint das Festhalten wenig zukunftsfähig. Daher sind Maßnahmen im Bereich des Radverkehrs sowie dem damit verbundenen städtebaulichen Umbau positiv zu begleiten. Der Handelsverband Deutschland hat daher die Erarbeitung des Bundesradverkehrsplans des BMVI (BMDV) aktiv begleitet und z.B. Maßnahmen in Bezug auf den Fahrradlastenverkehr eingebracht und umgesetzt (neues Verkehrsschild „Lastenrad“ in der StVO). Gleichzeitig zahlt der damit einhergehende städtebauliche Umbau wieder auf die Strategie des „Third Place“ ein. Fakt ist: Wir werden eine in der Dynamik steigende Veränderung des Modal Split erleben.
Diese betrifft auch den Lieferverkehr, der bestenfalls emissions- und geräuschlos – am besten unsichtbar – die Handelsgeschäfte beliefern und Ware über die Multichannelstrategie wieder heraus zum Kunden bringen muss. Daher arbeitet der Handelsverband Deutschland im BMDV in der Arbeitsgruppe „urbane schienengebundene Logistik“ mit und forcieren das Thema Nachlogistik, welches zudem positive Auswirkung auf die zunehmende Verkehrsdichte haben wird.
Nicht die Dekarbonisierung ist das Ziel der Verkehrspolitik für den Handel, sondern die Vermeidung des Verkehrsinfarkts. Auch ein sauberes Auto verstopft die Straßen und mindert die Erreichbarkeit der Innenstädte. Zudem nimmt es innerstädtische Flächen in Anspruch, die nicht auf die gestalterische Attraktivität der Innenstädte einzahlt (Third Place).
Ein weiterer Punkt muss deutlich herausgestellt werden: Der Verlust an alteingesessenen Geschäften ist der deutlichste Indikator für die Bevölkerung in Hinblick auf den Verlust an Heimat. Daher sind die durch die Corona-Krise noch einmal deutlich verschärften Geschäftsaufgaben mit den daraus folgenden Leerständen sowie der implizierten negativen Versorgungsqualität ein gesamtgesellschaftliches Problem. Leider können aufgrund der bereits bestehenden Wahlergebnisse Landkarten mit sowohl schlechter Versorgungsqualität und gleichzeitig Ergebnissen an den politischen Rändern gezeichnet werden. Die Kommission gleichwertige Lebensverhältnisse des Bundes hat leider keine Ergebnisse gebracht. Alle anders lautenden Äußerungen sind aufgrund der Dringlichkeit und der schwere des gesellschaftlichen Problems Schönfärberei.
Neben dieser groben Übersicht existieren in der (Innen-) Stadtentwicklung viele weitere Strömungen und Ansatzpunkte. Zur weiteren Vertiefung der einzelnen Themen möchte ich auf die HDE-Microsite Innenstadt: https://einzelhandel.de/innenstadt sowie die Dokumentationen der urbanicom-Studientagungen verweisen.
Urbanicom hat sich als „Deutscher Verein für Handels- und Stadtentwicklung“ seit jeher intensiv mit der Wechselwirkung von Stadt und Handel sowie der Innenstadtentwicklung beschäftigt. Die Themen der letzten Tagungen lauten:
2022: „Krisen“ und Auswirkung der „Digitalisierung der Nachbarn des Handels“ auf Stadt und Handel
2019: Rückkehr der Produktion in die Innenstädte
2018: Alles neu macht die Digitalisierung?! Von neuen Chancen der Kleinstädte, neuer Funktionsmischung in den Cities und dem Mobilitätswandel
2017: Handelsfläche in Deutschland - Welche? Wohin? Wieviel? - Vom bipolaren Wachstum, der Schrumpfung und Leerstand - Chancen für Stadt und Handel
2016: Neue Wege in der Stadt - Herausforderungen durch Kommunikation und Mobilität
2015: Die digitalen Effekte auf die konkrete Stadt
2014: Vom Aschenputtel zum Hans im Glück?!Nachnutzung von Handelsimmobilien sinnvoll gestalten
2013: Stadt & Handel – Hart am Wind auf allen Kanälen - Die Zukunft digital und analog
Alle Dokumentation findet man unter: www.urbanicom.de