Politische Leitlinien der neuen EU-Kommissionspräsidentin

Bereits zuvor hatte sie mit ihren politischen Leitlinien „Eine Union, die mehr erreichen will - Meine Agenda für Europa“ ein erstes Programm vorgelegt.

Aus Sicht des Einzelhandels sind insbesondere folgende Punkte aus dem Programm von Belang:

Umwelt, Nachhaltigkeit und Klima:

  • Von der Leyens Ziel ist es, dass Europa erster klimaneutraler Kontinent wird, weswegen Europa eine Vorreiterrolle im Kampf gegen den Klimawandel einnehmen soll.
  • Sie kündigt einen europäischen Grünen Deal in den ersten 100 Tagen ihrer Amtszeit an, der das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 gesetzlich verankern soll.
  • Bis 2030 sollen CO2-Emissionen um mindestens 50% reduziert werden.
  • Es ist zudem der Vorschlag eines europäischen Klimapakts zu erwarten, der Regionen, lokale Gemeinschaften, die Zivilgesellschaft, Industrie und Schulen zusammenbringt. Somit sollen Verhaltensänderungen in der kompletten Gesellschaft herbeigeführt werden.
  • Es wird eine Biodiversitätsstrategie für das Jahr 2030 angekündigt: es sollen neue Standards für die Biodiversität in der Handels-, Industrie-, Landwirtschafts- und Wirtschaftspolitik festgelegt werden.
  • Von der Leyen schlägt eine bereichsübergreifende Strategie zum Schutz der Gesundheit der Bürger vor, die sich mit der Luft- und Wasserqualität, gefährlichen Chemikalien, Industrieemissionen, Pestiziden und endokrinen Disruptoren befasst.
  • Sie kündigt die Vorstellung eines neuen Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft an, dessen Schwerpunkt auf der nachhaltigen Ressourcennutzung liegt, insbesondere in ressourcenintensiven Sektoren mit großen ökologischen Auswirkungen wie der Textilindustrie und dem Bauwesen.
  • Europa soll bei der Bewältigung des Problems der Einwegkunststoffe die Führung übernehmen. Zudem soll der Einsatz von Mikroplastik „bekämpft“ werden.
  • Es wird eine neue Strategie für eine nachhaltige Lebensmittelerzeugung „vom Erzeuger bis zum Verbraucher“ (Farm to Fork) entlang der gesamten Wertschöpfungskette angekündigt.

Wirtschaft & Steuern:

  • Der weiteren Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion soll Priorität eingeräumt werden, z.B. mit einem Haushaltsinstrument für Konvergenz und Wettbewerbsfähigkeit, das die Mitgliedstaaten bei Reformen für mehr Wachstum und bei Investitionen unterstützen soll.
  • Von der Leyen kündigt an, insbesondere kleine Unternehmen mit einer „gezielten KMU-Strategie“ unterstützen zu wollen, um es ihnen leichter zu machen, große Innovatoren zu werden, den Verwaltungsaufwand zu reduzieren und den Marktzugang zu erleichtern. Diese Ankündigung ist insbesondere vor dem Hintergrund der immer weiter steigenden Bürokratie (z.B. beim Datenschutz) und der bevorstehenden Überprüfung der DSGVO sehr interessant.
  • Es wird die Notwendigkeit einer Reform der Körperschaftsteuersysteme in der EU (und weltweit) betont und mehr Steuergerechtigkeit angekündigt. Die Besteuerung von großen Technologiekonzernen soll dabei ganz oben auf der Agenda stehen. Wenn bis Ende 2020 keine globale Lösung für eine gerechte digitale Steuer gefunden ist, soll die EU alleine handeln. Auch der Steuerbetrug soll intensiver bekämpft werden.

Arbeit, Soziales & Bildung:

  • Es wird ein Aktionsplan zur Europäischen Säule sozialer Rechte angekündigt, der die vollständige Umsetzung von den bereits festgelegten Prinzipien in den Bereichen Chancengleichheit, faire Arbeitsbedingungen sowie Sozialschutz und soziale Inklusion vorantreiben soll.
  • Es wird ein Rechtsinstrument für einen gerechten Mindestlohn – festgelegt über Tarifvereinbarungen und den Sozialen Dialog - innerhalb der ersten 100 Tage angekündigt. In diesem Zeitraum sollen auch verbindliche Lohntransparenzmaßnahmen vorgestellt werden.
  • Zudem möchte von der Leyen eine europäische Gleichstellungsstrategie vorstellen, in dem u.a. der Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ verankert werden soll.
  • Ein Vorschlag für einen neuen Antidiskriminierungsrechtsakt soll als Teil einer „Union der Gleichheit“ Chancengleichheit garantieren.
  • Um die gläserne Decke zu durchbrechen, sollen Quoten für eine ausgewogene Vertretung von Frauen und Männern in Leitungsorganen von Unternehmen festlegt werden.
  • Es wird eine Prüfung angekündigt, wie die Arbeitsbedingungen von Beschäftigten von Onlineplattformen - insbesondere im Hinblick auf Bildung und Kompetenzen - verbessert werden können.
  • Dem Aktionsplan für digitale Bildung soll Priorität eingeräumt werden, um digitale Kompetenzen als Teil der Grundkompetenzen aller Bürgen zu verankern.

Digitalisierung:

  • In den ersten 100 Tagen ihrer Amtszeit möchte von der Leyen Rechtsvorschriften für die menschlichen und ethischen Aspekte der künstlichen Intelligenz vorschlagen, welche die Nutzung von Big Data für Innovation erlauben sollen. Hierzu hat eine Expertengruppe der EU-Kommission bereits Leitlinien erarbeitet.
  • Die neue Kommissionpräsidentin greift zudem bereits in der Kommission kursierende Pläne für ein neues Gesetz über digitale Dienste (sog. Digital Services Act) auf. Basierend auf einer Revision der bestehenden E-Commerce-Richtlinie von 2000 sollen „bessere Haftungs- und Sicherheitsvorschriften für digitale Plattformen, Dienste und Produkte geschaffen und der digitale Binnenmarkt vollendet werden“.

Welthandel:

  • Von der Leyen kündigt eine starke, offene und faire Handelsagenda für Europa an und möchte unter größtmöglicher Transparenz auf eine für beide Seiten gewinnbringende Handelspartnerschaft mit den Vereinigten Staaten hinarbeiten.
  • Es soll sichergestellt werden, dass jedes neue Handelsabkommen ein eigenes Kapitel zur nachhaltigen Entwicklung enthält, dass in puncto Klima-, Umwelt- und Arbeitsschutz die höchsten Standards gelten.

Insgesamt greift das Programm viele bereits existierende Ideen auf oder kündigt die Vollendung bereits angestoßener Initiativen an. Es bleibt dabei oft oberflächlich, insbesondere was die Mittel der Zielerreichung angeht. Alles andere wäre aber in der Kürze der Zeit, in der die Leitlinien erstellt wurden, auch eine Überraschung gewesen. Von der Leyen kündigte daher ein detaillierteres, mehrjähriges Programm an, das im Laufe des Jahres von Parlament, Rat und Kommission vereinbart werden soll.

Die vollständigen politischen Leitlinien finden Sie hier.