Keine KI ist keine Option
3.14.134.195Der Handel ist die Branche mit dem höchsten Digitalisierungstempo und deutschlandweiter Vorreiter beim Thema „Big Data“, stellt der Digitalreport 2017 fest. In keiner anderen Branche ist der Zugang und Einsatz von Daten entscheidender für Erfolg oder Misserfolg eines Unternehmens. Personalisierte Angebote, Verhaltensprognosen, Ressourceneinsatz werden von intelligenten Algorithmen analysiert und gesteuert. Gleichzeitig konzentrieren sich die überlebenswichtigen Daten zusehends auf wenige dominante Player und die Rufe der Konsumenten nach „digitaler Souveränität“ werden lauter.
Am Abend des 28. November 2017 brachte der Handelsverband Deutschland (HDE) im Rahmen der Veranstaltungsreihe Forum Handel 4.0 Handelsenthusiasten, Digitalexperten und Politiker im Smart Data Forum in Berlin zusammen, um über die Zukunft der Branche, spannende Innovationen und politische Rahmenbedingungen zu diskutieren. Im Zentrum stand dabei die Frage: Von Big Data zu Künstlicher Intelligenz (KI) – Welches Potenzial haben Daten für den Handel der Zukunft?
Stephan Tromp, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des HDE, durfte den gut besuchten Abend eröffnen und wies dabei auf die Funktion des Handelsverbands hin, komplexe Phänomene und Technologien auch einem weniger technikaffinen Interessentenkreis näher zu bringen. Vor diesem Hintergrund stellte er den neuen Two-Pager „Algorithmische Entscheidungen und Künstliche Intelligenz im Handel“ vor, welcher Einsatzgebiete von KI im Handel beschreibt und die innovations- und wettbewerbshemmenden Auswirkungen potenzieller Algorithmenkontrollen, wie sie von Verbraucherschützern gefordert werden, beschreibt.
In zwei Praxisvorträgen konnten die Besucher dann selbst einen Eindruck vom Potenzial des Einsatzes von Daten und KI in der Handelspraxis gewinnen. Zunächst erklärte Dr. Sabrina Zeplin, Direktorin Business Intelligence der Otto Group, in ihrem Vortrag „Wie Daten uns dabei helfen, Relevanz in der Attention Economy zu generieren“. Sie ging dabei auf unterschiedliche Einsatzfelder von KI-Systemen in Unternehmen der Otto Group ein, welche von Google Assistant-Applikationen und Kundenberatung per Chatbot bis zu Größenberatung auf der Basis vergangener Produktkäufe reichten. Besonders stolz sei Sie dabei auf die Analyse von Kundenrezensionen durch intelligentes Textmining, welches relevante Inhalte identifiziere und zu Gruppen wie Größe oder Bedienung zusammenführe – so ein Feature habe selbst Amazon noch nicht. Das Erfolgsrezept sei dabei stets Wächter über die eigenen Daten zu bleiben und so den Kundenzugang in der Hand zu behalten.
Von Prof. Dr. Michael Feindt, Gründer und Chief Scientific Officer des internationalen KI-Vorreiters Blue Yonder GmbH, gab es für die Besucher im wahrsten Sinne des Wortes eine „Lektion“ in Sachen „Künstliche Intelligenz – wie automatisierte Entscheidungen die Geschäftsprozesse im Handel revolutionieren“. Spannende Einblicke in die Ineffizienz des „guten Willens“ erfahrener Mitarbeiter, hinter die Mauern von Deutschlands modernster Fleischfabrik und die Einsicht, dass 99% der operationellen Entscheidungen im Handel per KI automatisiert werden könnten, sorgten auch im Nachhinein noch für intensive Diskussionen. Die Kernmessage von Prof. Feindt: „Keine KI ist keine Option“.
In der anschließenden Podiumsdiskussion wurde das Thema unter Moderation von Hanno Bender, Ressortleiter Politik & Recht der Lebensmittel Zeitung, verstärkt aus der „politischen Brille“ betrachtet. Klaus Müller, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), führte die Forderungen der Verbraucherschützer nach einer offiziellen „Algorithmenkontrolle“ aus. Nach dem Vorbild der BaFin im Finanzbereich müssten Logiken und Ergebnisse demnach einer Aufsicht unterliegen, die beispielsweise digitale Diskriminierung ausschließen solle. Der Bundestagsabgeordneten der CDU/CSU-Fraktion, Hansjörg Durz, verteufelte die Idee nicht per se, wies jedoch auf den hohen Aufwand einer solchen Kontrolle hin – wenn diese in der Praxis überhaupt umsetzbar sei. Zudem würden deutsche Unternehmen benachteiligt, so Stephan Tromp, internationale Konzerne würden sich dem deutschen Gesetz vermutlich entziehen. Kontrovers diskutierten Politik- und Handelsvertreter zudem über die Themen Datenschutzgrundverordnung, ePrivacy-Verordnung sowie die Konzentration des digitalen Handels auf wenige Plattformen und die damit verbundene Entstehung von Gatekeepern zum Kunden.
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